Für die zunächst letzte Erhebung sind wir ein zweites Mal nach Irland gefahren. Bisher waren wir in Irland vor allem in Dublin und Umgebung, sodass wir gespannt waren, was wir aus Interviews und Gesprächen in einem anderen Teil des Landes lernen können. Wir reisten also in eine Stadt im Westen Irlands, die wir hier, um die Anonymität zu wahren, W-Town nennen werden.

Die Stadt haben wir als überschaubaren, aber angenehmen, geschäftigen Ort mit viel Grün und netten Cafés wahrgenommen. Wir waren etwas weiter außerhalb in einem parkähnlichen Campus untergebracht und sind daher auf dem Weg zu unseren Terminen und nach Hause täglich durch verschiedene Ecken der Stadt gefahren. Wie in vielen Städten wechseln sich auch in W-Town privilegierte und benachteiligte Stadtteile ab.

     

Erster Anlaufpunkt: Private Charity

Unsere Interviews in W-Town begannen wir bei einer Gruppe von Menschen, die privat Essensspenden sammeln und verteilen. Dafür trafen wir uns zunächst in einem Café, das in einer Ecke eines großen, baumarktartiken Haushaltswarenladen gelegen war. Dafür mussten wir fast eine Stunde mit dem Bus durch die Stadt fahren. Dort angekommen orientierten wir uns kurz und empfingen dann die zwei Konktaktpersonen, mit den wir den Treffpunkt vereinbart hatten. Es handelte sich dabei um zwei ältere, sehr agile Frauen, die eine privat organisierte Charity ins Leben gerufen haben. In einer nahegelegenen Lagerhalle – die auch der Grund für das Treffen in dem Haushaltswarenladen war – würden sie einmal in der Woche Essenspenden empfangen, mit der Hilfe von Freiwilligen sortieren und an Einrichtungen weiterleiten, die die Essensspenden entweder selbst verkochen oder sie an Bedürftige verteilen. Außerdem stellte sich heraus, dass alle Beteiligten noch eine Art Fürsorgeverhältnis zu bekannten Familien pflegten, die durch die Rezession in Schwierigkeiten geraten sind und nun kleinere Spenden gern entgegen nehmen. Diesen Familien würden sie auch immer noch ein paar Tüten mit Nahrungsspenden in die Auffahrt zum Haus stellen. Wie sich bei den Berichten über diese Praxis herausstellte, ist die Anonymität den HilfeempfängerInnen sehr wichtig. Es soll niemand wissen, dass sie bedürftig sind. Das ist auch der Grund, warum nur eine Person aus dieser Gruppe mit uns sprechen wollte. Persönliche Scham spielt hier ein große Rolle. Letztlich führten wir hier an mehreren Terminen eine Gruppendiskussion mehrere Experteninterviews, eine Gruppendiskussion mit Freiwilligen sowie ein Einzelgespräch mit eine Empfängerin privater Charity.

Da wir bei unseren bisherigen Erhebungen vor allem mit institutionalisierten Organisationen in Kontakt waren und dementsprechend vor allem Interviews mit Personen geführt haben, die diese Organisationen nutzen, konnten wir nun nochmal eine ganz neue Form von Hilfe kennenlernen: Hilfe, die über private Netzwerke funktioniert und ohne Förderung, feste MitarbeiterInnen oder Büro auskommt. Für unsere Forschung kann dies eine spannende Ergänzung sein.

 

Zweiter Anlaufpunkt: Community Centre

Eines der vielen verteilten Community Centres in der Stadt diente uns als zweiter Anlaufpunkt. Den Kontakt hatte tags zuvor eine der Frauen der privaten Charity hergestellt. Sie kannte die Einrichtung als eine der Empfängerinnen der Essensspenden und organisierte deshalb kurzerhand per Telefon unser Kommen.

  

Als wir zuerst an dem Zentrum ankommen, ist gerade Mittagszeit und da keiner der über unser Kommen informierten Kontaktpersonen da ist, entschließen wir uns spontan in der angegliederten Cafeteria, die preisgünstige Mahlzeiten zubereitet und offen für alle ist, zu essen. Wir werden freundlich von den Leuten an der Essensausgabe empfangen. Als wir uns hinsetzen, kommen wir zudem schnell mit einigen umliegenden Personen ins Gespräch. Deutlich wird, dass sie sich, sobald sie von unserem Forschungsinteresse hören, davon distanzieren, arm oder bedürftig zu sein.

Das zeigt sich auch noch einmal in der Gruppendiskussion, die wir gleich am ersten Tag in der Einrichtung führen. Die TeilnehmerInnen grenzen sich wiederholt davon ab, als arm zu gelten – auch wenn in den Berichten zu ihrer Kindheit und den allgemeinen Lebensumständen deutlich wird, dass in einem Milieu des Verzichts großgeworden sind. Wir besuchten das Community Center noch ein zweites Mal und führten weitere Einzelinterviews mit Personen, die uns unsere Kontaktperson vermittelt hat.

Dritter Anlaufpunkt: Obdachlosenhilfe

In der zweiten Woche unseres Aufenthalts bekamen wir die Möglichkeit, unsere Erhebungen auch bei einer Einrichtung durchzuführen, die sich um Obdachlose und Langzeitarbeitslose kümmert. Als Teil einer irlandweiten Organisation bietet sie Akuthilfe aber auch langfristige Vermittlungen von Wohnungen, Weiterbildugen und Jobs an. Im Laufe unsere insgesamt fünf Termine lernten wir einige der über die Stadt verteilten Anlaufpunkte und Büros der Einrichtung kennen. Dort trafen wir stets auf sehr zuvorkommenden MitarbeiterInnen sowie auf Personen, die die angebotenen Hilfen in Anspruch nahmen. Auch sie waren uns gegenüber sehr aufgeschlossen und sprachen gern mit uns.

Nach ersten Annäherungsterminen entstanden so insgesamt eine Gruppendiskussion sowie sechs Einzelinterviews an verschiedenen Orten. Teilweise kamen die Leute einen längeren Weg zum Termin, teilweise wohnten sie unweit der Büros. Die MitarbeiterInnen der Einrichtung assistierten uns bei der Rekrutierung, erklärten den Interviewees unser Projekt und unterstützten uns bei der Organisation der eigentlichen Gespräche. Das half, um durchaus anzutreffende Skepsis, sowie Verunsicherungen aus dem Weg zu räumen. Es zeigte sich – wie bei den anderen von uns aufgesuchten Orten aus –, dass ohne die Unterstützung dieser Gatekeeper der Zugang zu bedürftigen Personen aufgrund von Milieugrenzen äußerst schwer ist. Wir sind dem Team deshalb zu großem Dank verpflichtet!